Zusammengestellt von Debra Shearer-Dirié
Die in diesem Artikel genannten KomponistInnen sind nur eine Handvoll der KomponistInnen, die Australiens Chorlandschaft gestalten. Ich überlasse es den LeserInnen, sich in deren Welt zu versenken. Individuelle Webseiten sind enthalten, zusammen mit drei weiteren Seiten für mehr Informationen: Australian Music Centre, Australian Choral Conductors Education and Training website, Morton Music und SingScore.
Dr. Lisa Cheney
Go Back and Start Again [Geh zurück und beginn vor vorne] (2019) wurde vom Tasmanian Symphony Orchestra Chorus in Auftrag gegeben. Es verwendet in jeder Stimme eine Mischung aus Gesang und Sprechen. Das Publikum soll das Gefühl haben, als sei der Chor ein verbundenes Gehirn, das Einblick in seine inneren geheimen Gedanken gibt. Dieses Stück begann mit einer anonymen Umfrage im Tasmanian Symphony Orchestra Chorus. Lisa bat die SängerInnen, ihre Gedanken zu teilen über das, was sie mit unbeschränkter Zeit machen würden, und was sie beim Verlieren von Zeit am meisten fürchteten. In jeder Antwort lag eine Unterströmung von Gefühlen, aus vergangenen Erfahrungen gelernt zu haben, und der Furcht, dass die Zeit davonlaufen könnte, ehe sie wieder einmal bedeutungsvolle Momente im Leben genießen könnten.
In Drought [Dürre] (2012) komponiert Cheney Musik für Sopransolo und Chor SSAATTB zu dem gleichnamigen Gedicht der verstorbenen Dichterin Judith Wright aus Brisbane. Die Musik, der Text und die Stimmen wirken zusammen, um gemeinsam schöne, eindringliche Klanglandschaften und Bilder zu schaffen von einer sich ständig wandelnden australischen Landschaft unter einer erbarmungslosen Sonne.
Dr. Gerardo Dirié
Pomegranate Friends [Granatapfelfreunde] (2011) ist ein dreisätziges Werk für SATB Chor, improvisierendes Saxophon und 4-kanalige Sinuswellen. Das Gedicht und das Klangdesign sind inspiriert von chinesischen Aphorismen, prägnant übersetzt in der Renaissance vom jesuitischen Missionar Matteo Ricci in seinem Essay über Freundschaft. Pointierte Bemerkungen über den Wert der Freundschaft werden präsentiert durch eine Schichtung pythagoräisch gestimmter Sinuswellen, die reibungslos in 12-tonig gleichtemperierte Stimmung übergehen. Ein improvisierender Saxophonist setzt Akzente auf die Stimmungsqualitäten beider Kontexte, um auf den Beginn des chorischen Teils vorzubereiten. Two Hands or Wings [Zwei Hände oder Flügel] untersucht die emotionalen und physischen Nuancen der Anpassung an sich verschiebende klangliche Kontexte – eine Anspielung an die Erfahrung der Seele mit Vereinbarungen und Ungleichgewicht.
War Within (2018) [Innerer Krieg]
Genauso wie individuelle, private und alltägliche Traumata können kollektive Konflikte uns an die dunkelsten Orte führen. Die erschütternden Berichte des (pensionierten) Generalmajors John Cantwell in seinen “Exit Wounds” [Ausschuss] boten einen eindrucksvollen Bericht darüber, wie die Teilnahme an äußerst gefährlichen und grausamen Konflikten den Kern eines Menschen beeinflussen können. Als er eingeladen wurde, etwas für den ANZAK Tag[1] 2018 in Brisbane zu komponieren, wollte Gerardo mit einer gemischten Perspektive beitragen: Cantwells Geschichte, Passagen aus Dantes Inferno, Worte des persisch-muslimischen Dichters Jalāl ad-Dīn Rūmī aus dem13. Jahrhundert und Erfahrungen und Perspektiven von aktiven Offizieren der Armee. Gerardo schuf einen subjektiven Bogen, indem er die Musik mit dem bedrohlichen Klang einer Hercules C-130 und den tröstenden Abschlussversen aus Dantes Inferno begann. Die Verbindung dieser Klänge mit dem Gesang des Solisten und des Chors führen während der vier Sätze der 13minütigen Komposition in einer inspirierten Flugbahn aus der Dunkelheit heraus. Die Besetzung besteht aus zwei Erzählern, Solobariton, Waldhorn, Altsaxophon, Orgel, Klavier, Chor SATB und mindestens zwei Lautsprechern für die Klangeffekte.
[1] Der ANZAC Day am 25. April ist ein nationaler Gedenktag in Australien, Neuseeland und Tonga. Der 25. April 1915 ist der Tag der ersten Militäraktion von australischen und neuseeländischen Truppen sowie Soldaten aus Tonga im Ersten Weltkrieg – der Landung auf Gallipoli (Anm. d.Übers.).
Paul Jarman
Rise in Song (2022) [Erhebe dich im Lied] für SSATB War ist ein Auftragswerk für das Watu Choral Festival in Adelaide. In Erinnerung an die COVID-Pandemie fühlte sich Paul aufgerufen, ein kraftvolles, erhebendes und protestartiges Werk aus der Sicht der Sänger zu schreiben, die nach Jahren der Einschränkung nun als vereinte weltweite Gemeinschaft zurückkehren. Watu (wah-doo) ist das Kaurna-Wort für einen gemeinsamen Aufschrei am Ende eines Treffens. In Anerkennung der Philosophie des Watu Choral Festivals wollte Paul, dass das Stück der Welt entgegenschreit: Wir als SängerInnen sind zurück and und nichts kann uns jemals das Verlangen wegnehmen, gemeinsam zu singen. Die Musik ist rau und kraftvoll, und während jede/r SängerIn in das Lied einstimmt, ist das Stück eine Feier dessen, was Singen für das Gemüt, den Körper und den Geist ausmacht. Paul schrieb das Werk auch in Anerkennung der vielen Musikstile in der ganzen Welt. Das Finale ist jedoch ein starker, vorwärts treibender gospel-ähnlicher Gesang, ähnlich dem gemeinschaftlichen Klang des Massengesangs in amerikanischen Kirchen.
And Will He Not Come Again (2016) [Und wird er nicht wiederkommen]
Die Oxford University Press bat Paul, Teil einer ausgewählten Gruppe für die Ehrungen zum 400. Todestag von Shakespeare zu sein. Er erhielt den Text des untröstlichen Liedes der Ophelia aus der 6. Szene im 4. Akt von Shakespeares Hamlet. Die für hohe Stimmen geschriebene Anfangsmelodie hält die Zuhörer mit ihrer tonalen und rhythmischen Vieldeutigkeit in Atem. Aber sobald der Chor und das Klavier dazukommen, ist das Ergebnis eine sehr starke Melodie, die in diesem Kontext sehr schlüssig erscheint. Im zweiten Satz führt Paul einen subtilen Tonartwechsel ein, um sich mit der Veränderung der Zeit zu beschäftigen, eine Erinnerung an die Vergangenheit und das Andenken eines Mädchens an seinen Vater. Das Ende findet in der Kapelle statt, wobei die abschließenden Akkorde den ersten beiden Akkorden von Gabriel Faures In Paradisum ähneln. Das Stück endet mit einem langen und tief berührenden Satz von ‘God have mercy on his soul’ [Herr, erbarme dich seiner Seele]. Polonius und Ophelia sind in der Geschichte von Hamlet unschuldige Opfer, und ich hoffe, dass mein Stück die Tragödie dieser Charaktere deutlich macht.
Stephen Leek
Ngana (1994) gibt es in verschieden besetzten Versionen. Es benutzt das indigene australische Wort für Hai “Ngana” und taucht es in einen sprachlichen Mix mit den Wörtern "Lina” (Wasser), "Mangana” (Fisch) und "Yah", das ein Willkommensgruß ist. Das Stück stellt die treibenden Energien, Rhythmen und leuchtenden Farben der Insel-Landschaft an der nordöstlichen Spitze von Australien treffend dar.
A Gibber Plains Noel (1991) [Ein Weihnachtslied der Gibber Ebene] und Wurundjeri Song (2004) sind beispielhaft für die vielen Stücke, die Stephen bei der Arbeit mit jungen Menschen in Australien geschrieben hat. A Gibber Plains Noelwurde in Alice Springs in der Mitte von Australien geschrieben und fängt die Laute der Vögel und Tiere und die Hitze des Busches im australischen sommerlichen Weihnachten ein. Wurundjeri Song wurde mit jungen SängerInnen geschrieben, die in der Wurundjeri Region (dem Gebiet von Melbourne) leben. Hier entdeckten sie gemeinsam das traditionelle Erbe der Gegend und die Schönheit der örtlichen Parks voller einheimischer Vögel und Tiere. Die Studierenden schrieben die Texte und Stephen sorgte für den musikalischen Satz.
Ruth McCall
Waltzing Matilda (zahlreiche Chorversionen) vertont den Text dieses bekannten Volksliedes, das lange als Australiens inoffizielle Nationalhymne angesehen wurde, und bearbeitet ihn neu in dieser neuen Version. Es gibt die Möglichkeit, clapsticks (Schlaghölzer der Aborigines, Anm. d. Übers.) und ein Dröhnen hinzuzufügen, und zum Beispiel ein Didgeridoo oder whirly-whirlies (Heulschläuche, Anm.d.Übers.) zu benutzen. Das Stück birgt in jeder Stimme einige stimmliche Herausforderungen in Gestalt verschiedener vokaler Techniken und ist keinesfalls einfach, aber wenn ein Chor die verschiedenen Schichten meistert, hat er ein wirkliches Erfolgserlebnis. Singend werden indigene Worte gebrummt, welche die Pflanzen um ein Wasserloch beschreiben, dazu eine Mischung von Melodien: meine eigene, die bekannte und die Melodie aus Queensland. Diese Melodien verbinden sich alle zu einem energetischen Stück mit einem, triumphalen Ende.
Bound for South Australia (SSATBarB) [Auf dem Weg nach Südaustralien] ist ein Arrangement des Volksliedes und ist für die SängerInnen ebenfalls eine Herausforderung, weil es ganz schön rasant ist! Es endet mit einem Jazz Riff, an dem alle SängerInnen beteiligt sind. Es ist ein spektakuläres Stück, mit dessen Aufführung wir letztes Jahr Gold gewannen bei den World Choir Games, aber passen Sie auf, dass Sie nicht überhasten!
Andrew Schultz
As Wave Drives Wave, Opus 115 (2021, Auftragswerk des Brisbane Chamber Choir) [Wie Welle auf Welle folgt] ist eine unbegleitete Vertonung denkwürdiger Zeilen aus Ovids Metamorphosen, die dieser wiederum von Pythagoras (Der ewige Wandel) übernahm. Die Bewegung der Wellen und ihre ruhelose Erneuerung werden als Metapher verwendet für die Gewissheit der ständigen Veränderung im Universum. Die Bilder in Ovids Text sind sehr schön und vielleicht sogar ein wenig melancholisch– oder vielleicht granithaltig und philosophisch, daher ist Traurigkeit unwesentlich. Dieses sechsminutige Werk (SATB geteilt) gründet auf langsam sich bewegenden Harmonien mit Sequenzen sich überlappender und sich verzahnender Akkorde – als wenn nicht aufgelöste Spannungen Wellen wären, die Wellen schieben.
Magnificat, Opus 79 (2009) beginnt zögerlich mit einer choralähnlichen Melodie, die sich aus dem kargen Quartintervall wie die Blüten einer Blume entfaltet. Endlich aufgeblüht jedoch, fallen die Stimmen wieder ab und die Musik findet zur Reinheit einzelner Linien zurück. Trotz der Zartheit der Komposition und der Weichheit des Gesangs ist da ein Gefühl stiller Entschlossenheit, welches das Epigramm widerspiegelt, das Schultz vor die Partitur gesetzt hat:“No coward soul is mine” [Eine feige Seele ist meine nicht] (Emily Brontë, Last Lines). Schultzens Maria mag klein sein, aber sie hat Stärke und Mut angesichts einer Zukunft jenseits ihrer Vorstellung. Am Schluss des Werkes wählt Schultz einen anderen Zugang. Die Zeit scheint sich zu verlangsamen oder sogar zum Stillstand zu kommen, wenn einzelne vokale Linien sich über die Stille wölben; der Turm reiner offener Quinten, auf dem die Musik schließlich zur Ruhe kommt, balanciert nicht auf der Tonika, sondern auf der Quinte des Akkords und lässt uns in der Schwebe, während die Stimmen zur Stille verschwinden.
Paul Stanhope
In Pauls New Requiem (2024), das sich langsam über 20 Jahre entwickelte, verbrachte Paul viel Zeit mit dem Nachdenken über eine Neuerfindung des Mediums, Personalisierung der Erzählung und einer Neupositionierung in einer Sensibilität von der er meinte, dass sie in der heutigen Zeit angenommen werden könnte. Requiem ist geschrieben für die intime Kraft eines Kammerchors mit einem kleinen Instrumentalensemble von vier Holzbläsern, Harfe, Schlagwerk und Solosopran und Solotenor. Das neunsätzige Stück verwendet eine Auswahl aus der originalen Requiem-Messe. An die Stellen der nicht verwendeten Requiemtexte sind Vertonungen englischer poetischer Texte eingefügt – einige spirituell, einige weltlich –, um die Erzählung weiter zu personalisieren. Die englisch-sprachigen Texte sind alle von weiblichen Dichtern: Neela Nath Das (Inderin), Mary Elizabeth Frye und Emily Dickinson (beide Amerikanerinnen) und die australische indigene Dichterin Oodgeroo Noonuccal. Diese Texte senden Botschaften, die Licht auf die Messetexte werfen, einige von ihnen könnten die paternalistische und authoritäre Tradition der katholischen Kirche vertreten. Requiem wurde vom Sydney Chamber Choir aufgenommen und wird 2024 erscheinen.
Lisa Young
Sacred Stepping Stones (2020, Auftragswerk der Gondwana National Choral School) [Heilige Trittsteine] spricht davon, wie das Land uns prägt und wie unser Planet heilig und kostbar ist. Es ist eine Invokation, welche die Schönheit der Erde besingt und ein Aufruf, für ihre Behütung zu stehen. Die Aufführung des Stücks erfordert eine besondere vokale ‘Klang-Bank’, die tonal bestimmtes Konnakkol[1] mit Skat-Klängen integriert, um dieser Botschaft rhythmisches Feuer hinzu. Der englische Text schafft, kombiniert mit Youngs vokaler Klang-Bank und Skatsilben, polyrhythmische vokale Texturen, die von diesem Ort und dieser Zeit sprechen.
[1] Konnakoll ist eine musikalische Form, die im weiten Sinn zur Vocal Percussion gehört (Anm.d.Übers.)
Das originale Thema, komponiert von Lisa und Ben Robertson von Tha Thin Tha (2014, Auftragswerk der Gondwana Choirs) verwendet ebenfalls die ‘vokale Klang-Bank’, südindische Konnakkol-Sprache und Skatsilben. Der Rhythmus der Musik wird durch zyklische Handgesten gezeichnet. Das Markieren des Rhythmus‘ auf diese Weise ist integrierter Teil der Aufführung von karnatischer[1] Musik.
[1] Karnatische Musik ist südindischer Herkunft, entwickelt aus Hindutradition, und wird der klassischen Musik zugerechnet (Anm.d.Übers.)
Die Version von Coco’s Lunch[1]
[1] Coco’s Lunch ist eine a-cappella-Gruppe aus Melbourne (Anm.d.Übers.)
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