Der Erfolg eines Chorleiters hängt zweifellos von vielen Faktoren ab, wie z.B. seiner musikalischen Vorbereitung, seiner Auswahl des Repertoires, seiner Probenmethodik, seinen Führungseigenschaften, um einen guten Gemeinschaftsgeist zu formen, von seiner Stimmbildungsarbeit und vielen anderen Variablen. Oft beobachten wir jedoch, dass Chorleiter, die über all diese Eigenschaften verfügen, ausdruckslos bleiben und wenig kommunikativ sind. Das Problem ist, dass sie der Körper- und Gestensprache, die sorgfältig und gewissenhaft zu entwickeln ist, keine Bedeutung beimessen.
In diesem kurzen Aufsatz will ich versuchen, dieses faszinierende Thema zu erörtern. Warum ist es wichtig, einen gestisch/körperlichen Sprachcode zu entwickeln, der für die Kommunikation zwischen Chorleiter und Chor oder Dirigent und Orchester von so grundlegender Bedeutung ist und die Interpretation der Musik definitiv beeinflusst?
Der große Schauspieler Vittorio Gassman schrieb einmal:
Es stimmt, dass die Gestik eine der spezifischsten Merkmale des persönlichen Ausdrucks eines Schauspielers ist. Eine Geste (das ist das erste, was ich meinen Schülern beibringe), ob ausladend oder kaum wahrnehmbar, geht dem Wort stets voraus, sie ist das, was die Ausdrucksabsicht, den emotionalen Willen kundtut.
In seinem Buch La Forja del Director (frei übersetzt: „Die Chorleiterschmiede“) stellt Alberto Grau fest:
Die Geste ermöglicht es dem Chorleiter, mit seiner Gruppe sowohl in technischer wie in expressiver Hinsicht zu kommunizieren. Die Bewegungen der Gestik stellen Codes dar, die es dem Chorensemble ermöglichen, den Sinn des Werkes, den ihm immanenten Rhythmus und seine Ausdrucksnuancen zu entschlüsseln, weshalb eine Geste sofort vom Chor erkannt werden und explizit sein muss, um Verwirrung zu vermeiden. Auch muss sie an verschiedene Situationen angepasst werden, die sich aus den Dimensionen des Proberaums, den Ausmaßen der Bühne oder der Anzahl der Chormitglieder ergeben können.
In jedem Falle ist die Gestik ein grundlegender Aspekt der Chorleitung, der gewissenhaft eingeübt und erlernt werden muss. Deshalb muss ein Chorleiter immer wieder an seiner Gestik arbeiten und sie perfektionieren. Um dies zu erreichen, muss er seinen Körper durch physische Vorbereitungspraktiken kennenlernen, insbesondere die Muskulatur, Haltung, Fluidität und Kontinuität der Bewegung, ihre Kraft und Breite, Spannung und Entspannung, kurz alle Elemente, die es ermöglichen, eine effiziente und ausdrucksstarke Gestik zu entwickeln, die einen wahren Kommunikationskanal mit dem Chor darstellt.
Dazu will ich kurz einige Aspekte unserer Muskulatur in den Blick nehmen, die sich auf dieses Thema beziehen.
Die menschliche Muskulatur besteht aus insgesamt mehr als 650 verschiedenen Muskeln, von denen die meisten willkürlich bewegt werden können, so dass wir die für unsere Bewegung notwendige Kraft auf das Skelett übertragen können. Die Muskeln bestehen aus Zellen, den sogenannten "Myozyten", mit ganz spezifischen Eigenschaften, die dafür sorgen, dass die Muskelfasern widerstandsfähig und elastisch bleiben und Dehnungen und Kompressionen erlauben.
Die Muskeln, die wir für die Gestik des Chorleiters brauchen, sind die Skelett- oder willkürlichen Muskeln, die es uns ermöglichen, unsere Gliedmaßen zu bewegen und so simple Gesten zu erzeugen, wie z.B. das Bewegen unserer Augen oder ein Lächeln. Die wichtigsten, die wir für die Handlungen des täglichen Lebens benötigen, sind:
Brustmuskeln... Trapezmuskeln... Oberschenkelmuskeln... Bauchmuskeln... Bizeps... Trizeps.
Für unsere Zwecke der Gestik sind die Brust- und Bauchmuskeln am wichtigsten, weil sie uns helfen, eine ausgewogene Körperhaltung einzunehmen. Wichtig sind auch die Delta- und Trapezmuskeln, weil sie die Bewegung von Schultern und Armen kontrollieren, sowie die Gesichtsmuskeln, die für die Kontrolle unseres Ausdrucks verantwortlich sind.
Ein anderer Aspekt, den wir kurz erwähnen müssen, ist die Klassifizierung von Muskeln, um zu verstehen, wie man sie benutzt und trainiert (hauptsächlich Beugemuskeln, Dehnungsmuskeln, Rotatoren und Stabilisatoren[1], der Muskeltonus[2], die Arten von Fasern[3] und deren Kontraktionen[4].
Aus dem oben Gesagten folgt, dass das Ausführen einer bestimmten Bewegung eine komplexe Aktion ist, bei der verschiedene Muskeln mit unterschiedlichen Funktionen koordiniert werden müssen, auch wenn eine von ihnen im Einzelfall die wichtigste ist.
Ich organisiere traditionellerweise meine täglichen Körperübungen rund um meine Tanzkurse und Tau Chi-Sitzungen, wozu stille, aber aktive Spaziergänge kommen. Diese Routine ist die Basis für weitere spezifische, für die Chorleitung wichtige vorbereitende Übungen.
Die Durchführung einer Reihe von Haltungs-, Entspannungs-, Kräftigungs-, Spannungs- und Muskeldehnungsübungen ist unerlässlich, um eine Grundlage für die Gestentechnik zu erhalten. Dadurch lernen wir unseren Körper, seine Möglichkeiten und Schwächen kennen und können erfolgreich unsere eigene, ausdrucksstarke Sprache entwickeln. Sehr wichtig ist auch, bewusst an unserem Gesichtsausdruck zu arbeiten und diesen mit Körperbewegungen zu begleiten, um ihn zu unterstützen.
Beim Studium und der Praxis der Chorleitungstechnik müssen wir neben den Aspekten, die sich auf die musikalischen Befehle und deren Klarheit beziehen, auch andere Aspekte in den Blick nehmen, die sich generell auf eine präzise und klare Gestik beziehen.
Jeder Chorleiter entwickelt seine eigene Choreografie, die klar genug sein muss, um von allen Gruppen, die er leitet, verstanden zu werden.
Die Gesten zur Aufrechterhaltung eines gleichbleibenden Tempos sowie zur präzisen Markierung von Phrasierungen und Übergängen hängen von einer guten Muskelan- und -entspannung des Arms ab. Auch das Erreichen der richtigen Dynamik sowie das Anzeigen eines allmählichen Diminuendos oder Crescendos oder das einer plötzlichen Änderung der Dynamik hängen von Maß und Spannung dieser Gestik ab.
Überflüssige Gesten behindern auf jeden Fall den musikalischen Diskurs.
Eine gestisch differenzierte, dem musikalischen Diskurs angemessene Chorleitung muss - zusammen mit dem analytisch-musikalischen Studium der Partitur - sorgfältig eingeübt und vorbereitet werden. Sie beruht jedenfalls auch auf den expressiven und emotionalen Fähigkeiten, um die musikalische Botschaft des Werkes gut herüberzubringen.
Übersetzt aus dem Spanischen von Reinhard Kißler, Deutschland
[1] Flexoren (Beugemuskeln), Extensoren (Streckmuskeln), Rotatoren (Drehmuskeln), Abduktoren (Abspreizer einer Extremität), Stabilisatoren oder Fixierungsmuskeln (deren Ziel es ist, die Muskelspannung aufrechtzuerhalten). Oder ihre Klassifizierung in Antagonisten (Muskeln, die eine bestimmte Bewegung hemmen oder eine gegenläufige Bewegung verursachen), Agonisten (Muskeln, die eine bestimmte Bewegung durchführen), Synergisten (Muskeln, die zusammenwirken. Sie können sowohl Agonisten als auch Antagonisten unterstützen).
[2] Man kann es auch Muskelspannung nennen. Es ist die partielle, passive und kontinuierliche Kontraktion der Muskeln, die in der Schlafphase abnimmt. Sie ist verantwortlich für die aufrechte Haltung. Unter normalen Bedingungen wird der Muskeltonus unbewusst und mühelos durch die Aktivität des Nervensystems aufrechterhalten.
[3] Typ 1: Sie werden auch langsame oder rote Kontraktionsfasern genannt. Sie haben einen geringen Durchmesser und werden von zahlreichen Blutgefäßen versorgt. Sie ermöglichen hauptsächlich Aktivitäten, die Kontraktionen von geringer, aber langanhaltender Intensität benötigen, zum Beispiel bei der Aufrechterhaltung des Körpers.
Typ 2: Sie werden auch schnelle oder weiße Kontraktionsfasern genannt. Sie haben den Fasern von Typ 1entgegengesetzte Eigenschaften, ihr Durchmesser ist größer, sie werden wenig durchblutet.
Der Körper verwendet sie hauptsächlich für kurze, aber intensive Bewegungen. Sie ermüden schnell.
Typ 2a: Sie können zwischen Typ 1 und Typ 2 wechseln. Abhängig von der Art des Trainings können sie sich in Typ-1-Fasern verwandeln, bei länger andauernden Kraftübungen überwiegen die Typ-2-Fasern.
[4] Isometrische Kontraktion: Bei dieser Art der Kontraktion bleibt die Länge der Muskelfaser fast konstant, aber der Muskeltonus intensiviert sich und es kommt zu keiner Verschiebung. Ein Beispiel ist die Kontraktion der Muskeln der unteren Extremitäten und derjenigen, die sich in der Nähe der Wirbelsäule befinden, um eine aufrechte Haltung zu ermöglichen. Isotonische Kontraktion: Bei dieser Art der Kontraktion wird die Muskelfaser durch Verkürzung modifiziert, aber der Muskeltonus bleibt fast konstant, und es kommt zu einer Verschiebung. Ein Beispiel ist die Muskelkontraktion, die man braucht, um einen Gegenstand zu heben und zu versetzen.
María Guinand, Chor- und Orchesterleiterin, Universitätsprofessorin, Pädagogin und Leiterin von Chorprojekten, ist derzeit künstlerische Leiterin der Schola Cantorum Foundation of Venezuela und des Chores der Polar Foundation. In ihrer langen Karriere war sie außerordentliche Professorin der Simón Bolívar Universität (1976-2018) (Venezuela); Koordinatorin der chor- symphonischen Projekte von El Sistema (1980-2012); Künstlerische Leiterin (2003-2017) der 'Música para Crecer' (‚Musik zum Wachsen‘). Sie war auch Präsidentin, Vizepräsidentin und Beraterin für Lateinamerika der Internationalen Föderation für Chormusik (1996-2014) (2019-) und Mitglied des Internationalen Musikrates (UNESCO) (2002-2005). Sie gewann die Preise: Kulturpreis (1998), Robert Edler Preis für Chormusik (2000), die Helmuth Rilling Award (Internationale Bachakademie 2009), den Life Achievement Award der Internationalen Föderation für Chormusik (FIMC 2019) und die Ehrendoktorwürde der Metropolitan University, Caracas, Venezuela (2020). Sie wird häufig als Gastdirigentin, Lehrerin und Jurymitglied in die USA, Kanada, Lateinamerika, Europa und Asien eingeladen.
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